„Dance Me To The End Of Love“ – Eine Beziehung zu Ende tanzen

Im ersten Satz des Ankündigungstextes zu First Life – Ein Melodram wird der Ausgangspunkt der beiden Performer Verena Billinger und Sebastian Schulz benannt, „dass zwei Menschen auf der Bühne immer zusammen gedacht werden“. Nach der Vorstellung lese ich diesen Satz im Programmheft und habe mich währenddessen mit der Frage beschäftigt, wie Choreographie und Beziehung hier zusammen gedacht werden. Oder wie Beziehung als Choreographie gedacht werden könnte? Das heißt, Beziehung als Choreographie, als eine Bewegung, die mit einem Anfang und einem Ende gedacht wird.

Diese Kategorien des Anfangs und des Endes werden für Beziehungen gesellschaftlich nicht akzeptiert, heißt es an einer Stelle der Performance, die mein Nachdenken darüber angestoßen hat. „Do you have to settle for your memory, because you shouldn’t think in categories like ‚beginning‘ or ‚end‘, but rather surf on a wave with ups and downs and one of the ups is a first kiss an one of these downs is someone breaking up with you.“ (Zitat der englischen Textversion des Stücks.) Muss man sich mit seiner Erinnerung zufrieden geben und sollte nicht in Kategorien wie ‚Anfang‘ und ‚Ende‘ denken? Über Beziehungen und besonders über gescheiterte Beziehungen wird im Rahmen unserer Gesellschaft jedenfalls immer relativ gedacht, heißt es im Stück: „In talks about love, oftentimes a situation is created where everybody agrees on emotions being important to them, but on the other hand there is as well created distance: you agree or assume that one should not get hysterical about your current love affair and that everything is relative, too.“

Wieso widerstrebt es uns, wie hier gesagt wird, Liebesbeziehungen mit Anfang und Ende zu denken? Warum wird das Scheitern einer Beziehung als Teil einer großen Lebenswelle begriffen, mit rauschenden Höhen und Tiefen, die unser Trauern um den Verlust einer beendeten Beziehung einfach wegschwemmt? „It is not accepted if people are sad or depressed because of lovesickness for longer than a certain amount of time. I find it arrogant to say that it’s not so severe, ‚because nobody has died‘.“ (Zitat Stücktext)

Verena findet es schade, dass Menschen, die ihren gescheiterten Beziehungen wie einem verlorenen Menschen nachtrauern, nicht in ihrer Trauer darüber ernst genommen werden. Denn gescheiterte Liebesbeziehungen bedeuteten in unserer Gesellschaft ja nicht das unwiederbringliche Verschwinden eines Menschen, seinen Tod, sondern offenbar nur ein temporäres Tief unseres Lebens, das weitergeht. Beendete Beziehungen sollen offenbar keinen Punkt in unserem Leben setzen, sondern nur ein weiteres Komma, vielleicht einen Gedankenstrich, eine Erinnerung.

Was aber, wenn eine Beziehung nicht einfach vorbeigeht und die Beschäftigung damit zurück bleibt? Offene Fragen, ein Umkreisen von etwas, das nicht zu verabschieden ist? Eine innere Bewegung, die immer weiterarbeitet? „It can be exhausting, because something is working in you that has become detached from the other parts of yourself and it forces yout to constantly look at the situation and it keeps you from feeling settled or even keeps you from feeling something at all“. (Zitat Stücktext) Vielleicht liegt eine Möglichkeit abzuschließen dann genau im Aufgreifen dieses Kreisens, im Choreographieren dieser Bewegung, um sie mit einem letzten Tanz zu einem Ende zu denken.

Choreographie verstehe ich als Bewegung eines Körpers, die als Bewegung oder Folge von Bewegungen erkennbar ist. Choreographie lässt den Körper in einer bestimmten Form erscheinen, sodass der Körper in einer Gestalt mit definierten Bewegungsabläufen wahrnehmbar wird. Eine Choreographie schreibt den Körper in gewisser Weise, phrasiert ihn und setzt den Bewegungen des Körpers einen bewussten Anfang und ein Ende. Dieses bewusste choreographische Schreiben eines Anfangs und eines Endes, die Form des Choreographierens mit sich bringt, bildet hier in meinen Augen einen Gegensatz zum einfachen Geschehen Lassen von Bewegung, die auf keinen Endpunkt zusteuert. Choreographie würde in diesem Sinne vielleicht eine bewusste Strukturierung in Beginn und Abschluss erlauben und die Kategorien von Anfang und Ende wieder möglich machen.

Verena und Sebastian erzählen ihre Beziehung chroreographisch:
Choreographie des Ankleidens
Choreographie des Nebeneinanderstehens
Choreographie des Protokollierens / Blätterns / Trinkens
Choreographie des Erzählens – Thema, Wiederholung, Variation, Kontradiktion
Choreographie des Benennens des Körpers mit Tierattributen
Choreographie der sich synchron, mechanisch bewegenden Körper
Choreographie des Übereinanderwälzens
Choreographie des Kusses
Choreographie des Paartanzes
Choreographie des Entkleidens
etc.

Die Choreogaphie von Verena und Sebastian besteht aus erzählten Anekdoten der Beziehung, die sich wiederholen, variieren, kontradiktieren und aus Bewegungen und Tanzsequenzen, die Bilder einer Beziehung in meiner Vorstellung zusammenfügen. Die Körper der beiden Performer stehen anfangs lange Zeit nur nebeneinander, als ob sie nicht mehr zusammen gehörten und von einander getrennt lebten. Sie betreten und verlassen die Bühne von den gegenüber liegenden Seiten und halten sich während des Stücks nie gemeinsam auf einer Seite auf. Einmal drehen sie sich synchron und fast schon mechanisch in Zeitlupenbewegungen um sich selbst und wirken wie ferngesteuerte Berichterstatter ihrer eigenen Beziehung, die sie gemäß dem Skript in ihren Händen fragmentarisch vortragen. Das Kennenlernen auf einer Party, erstes Treffen und erster Kuss, zweisame Tage in Gießen, Alltag, Sex, Fernbeziehung, Auseinanderleben und Trennung werden erzählt.

Das wiederholte, regelmäßige Umblättern einzelner Seiten erscheint als getaktetes Protokoll, jedoch ohne Wahrheitsanspruch. Einige Seiten sind leer und werden weitergeblättert. Fehlen hier Informationen, werden Erzählungen unterschlagen oder hängt die Erinnerung hinterher? Das Protokoll wird löchrig, unwirklich und ist vielleicht nur fingiert. Die Anekdoten wiederholen und verändern sich. Es ist unklar, ob die beiden drei, fünf oder acht Jahre zusammen waren. Waren Verena und Sebastian womöglich nie ein Paar? Sind sie nur eine Fiktion des Performancepaares Billinger und Schulz?

Die räumliche Distanz zwischen den Körpern wird verringert in einer Choreographie des Übereinanderwälzens, in der sich die beiden Performer in einer Schleifenbewegung in Zeitlupe umschlingen und übereinander rollen. Doch obwohl sie sich umschlingen, scheinen sie immer noch merkwürdig separiert. Ihre Gesichter verziehen sich zu maskenhaften Grimassen der Freude (oder Häme?) und des Schmerzes (oder Schreckens?) und es fällt schwer, zwischen Anziehung und Abstoßen der Körper zu unterscheiden. Sie wirken in ihren Bewegungen wie von sich selbst isolierte Figuren eines Computerspiels.

In einer weiteren Sequenz tanzen Verena und Sebastian einen folkloristisch anmutenden Paartanz. Zu „Dance me to the End of Love“ gesungen von Leonhard Cohen, bewegen sich die beiden synchron nebeneinander und lächeln sich zum ersten Mal gegenseitig an. Der vormalige Modus des Neutrums wird zwischen ihnen einen Moment lang aufgelöst, aber das Lächeln mag gleichzeitig täuschen. Sind es wirkliche Gefühle, die sich auf den Gesichtern ausdrücken oder ist es meine eigene Projektion, die ich in den Gesichter der beiden lese? Cohens rauhe Stimme und der wiegende Rhythmus der Musik lassen für einen Moment lang die schon ausgestorben geglaubte Tradition des Folkloretanzes aufleben, bei denen Paare in Figuren zur Musik tanzen. Vielleicht ist es auch hier nur die ‚Figur‘, die mich täuschen will, aber tatsächlich wirkt dieser Tanz wie die Erinnerung eines Paares und gleichzeitig wie ein Abschied von dieser Erinnerung, ein letzter Tanz to the End of Love.

Die beiden fassen sich am Ende des Tanzen an den Händen, im wilden umeinander Drehen schleudern sie sich an den Bühnenrand – wieder separiert. Leonhard Cohen verstummt im Abschiedsapplaus der Liveaufnahme. Ein trauriges Gefühl vereinnahmt mich für einen Moment, das sich im Abschlussprotokoll der beiden schon wieder auflöst. Sie erzählen das Auseinanderleben ihrer Beziehung und schließlich ihre Trennung.

Die Performance, die mit einem nackten Auftritt der beiden Performer und dem Ankleiden mit auf der Bühne verstreut liegenden Klamotten begonnen hatte, endet mit dem sich wieder Entkleiden der beiden Körper. Beginn und Abschluss der Performance finden eine klare Setzung, eine Choreogaphie, die vielleicht das ermöglicht hat, was anfangs unmöglich schien und gescheiterten Beziehungen gesellschaftlich versagt wird: ein Anfang und ein Ende.

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